Verursachen Skinny Jeans tatsächlich Rückenschmerzen?

Leiden unter Rückenschmerzen ist kein Einzelfall

Britische Chiropraktiker warnen vor Skinny Jeans, Statement-Ketten und großen Kapuzen - die schaden nämlich angeblich unserer Gesundheit. Ein Experte erklärt, warum das Unsinn ist.

Es war in sämtlichen britischen Online-Magazinen und Ratgeber-Plattformen zu lesen: Skinny Jeans bereiten uns Rückenschmerzen. Das versichern zumindest britische Chiropraktiker, die außerdem noch vor Kapuzen mit Fellkragen, schweren Ketten und Umhänge-Taschen warnen. Mit der Schlagzeile "Die Rückengesundheit von Frauen leidet um der Mode willen" geisterte die Studie durch die britischen Medien. Die Aufregung war groß - ebenso wie die Verunsicherung vieler Frauen. Wie ist es dazu gekommen?

Die British Chiropractic Association hat über 1000 Frauen zu ihren Mode-Gewohnheiten und ihrer Rückengesundheit befragt. Dabei ist herausgekommen, dass 73% der Befragten unter Rückenbeschwerden leiden. Ob es sich dabei um chronische oder akute Schmerzen handelt, geht aus der Veröffentlichung nicht hervor. Nicht jeder hält die Studie für professionell. Professor Bernd Kladny arbeitet als Chefarzt der Orthopädie und Unfallchirurgie der Fachklinik Herzogenaurach und ist stellvertretender Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU). Ihn überrascht das Ergebnis keinesfalls: "Die Wahrscheinlichkeit unter Rückenschmerzen zu leiden liegt per se bei 70 bis 85 Prozent. Wenn Sie also eine größere Gruppe befragen, dann kommen Rückenschmerzen einfach häufig vor."

Die Hälfte der befragten Frauen trug außerdem regelmäßig Skinny Jeans. Alarmierend, findet die British Chiropractic Associaton. Kladny sieht das jedoch anders: "Fakt ist, dass in der Wissenschaft leider häufig Korrelation mit Ursache und Wirkung verwechselt wird. Nur weil ich das Eine häufig beobachte und gleichzeitig das Andere häufig auftritt, beweist das noch längst keinen kausalen Zusammenhang. Es ist zum Beispiel durchaus möglich, die Zahl der brütenden Störche in Europa zu bestimmten Zeiten mit der Geburtenrate in Korrelation zu bringen. Trotzdem würde niemand zu dem Schluss kommen, dass der Storch für die Babies verantwortlich sei."

Bloß weil viele der von Rückenschmerz geplagten Frauen auch Skinny Jeans tragen, heißt das also noch lange nicht, dass die engen Hosen Schuld daran sind. Genau das behauptet die British Chiropractic Association aber. Kleidung habe einen großen Einfluss auf Rücken, Nacken und generell auf die Haltung, warnen die Chiropraktiker. Dabei geht es ihnen um Kleidung, die uns in der Bewegungsfreiheit einschränkt oder uns dazu bringt, unnatürlich zu laufen, zu stehen oder zu sitzen. 

Angstmacherei statt wissenschaftlicher Belege

Demnach seien neben Skinny Jeans auch schwere Statement-Ketten, große Kapuzen, Schulter-Taschen und an der Ferse offene Schuhen riskant. In Einzelfällen mag das auch stimmen, dabei kommt es aber immer auf die Dosierung an, betont Bernd Kladny: "Manche Dinge legt natürlich der gesunde Menschenverstand nahe. Wenn ich eine schwere Tasche lange Zeit einseitig trage, dann muss nicht unbedingt wissenschaftlich bewiesen werden, dass dies zu einer Überlastung der Muskulatur führen kann."

Was die British Chiropractic Association jedoch verbreitet, sei eindeutig Angstmacherei. Es ist bedenklich, dass man nirgends Details über den genauen Aufbau und Ablauf der Studie findet. Lediglich eine Zusammenfassung der Ergebnisse wurde in einem Online-Artikel veröffentlicht. "Die Daten einer Studie müssen nachvollziehbar sein. Eine reißerische Überschrift und ein paar Schlagworte reichen nicht aus", sagt Kladny.

Das wird wohl auch die British Chiropractic Association inzwischen gemerkt haben. Klickt man auf der Startseite der Homepage den betroffenen Artikel an, wird man mit einer Fehlermeldung abserviert. Die zahlreichen unkritischen Berichte von Magazinen und Online-Ratgebern bleiben jedoch im Netz. Dazu sagt Kladny: "Das einzig Gute, was ich solchen Behauptungen und dem damit verbundenen Medienrummel abgewinnen kann, ist, dass sich die Menschen mit dem Thema Rückenschmerzen auseinandersetzen und sich fragen, wo die überhaupt herkommen. Aber von zu engen Jeans kommen sie sicherlich nicht."

Quelle Text und Bild: stern Online | Hamburg | 30.03.2017

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